Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 16.11.2015

Im Rausch der Meere

Kiels Philharmoniker gratulieren Kiels Uni mit Raumklang-Installation von Shih

VON CHRISTIAN STREHK

KIEL. Zunächst ist es nur ein Grundrauschen, eine magische Vorah­nung der mächtigen, unfassbar vielgestaltigen Bewegung. Dann hebt das Wispern und Flirren ab, gebiert Tonwellen und Klangwogen. Der taiwanesisch-österreichische Komponist Shih hat dem Ozean und seinem Leben spendenden Plankton ein Stimmengewirr abgelauscht, dessen raumflutender Faszination sich am Sonntagmorgen im Kieler Schloss das begeistert lauschende Publikum bei der Uraufführung der „Klang-Installation“ Schweigendes Meer nicht entziehen kann. Die Ovationen für den anwesenden Komponisten krönen ein insgesamt stimmungsdichtes Konzert, das Generalmusikdirektor Georg Fritzsch zu Ehren des 350. Geburtstags der Christian-Albrechts-Universität und seiner Meeresforschung nah am Wasser konzipiert hat.

Shihs 20-Minuten-Komposition, eindrucksvoll anschaulich geschichtet in einer meterhohen Partitur auf dem Dirigentenpult, setzt auf ein geräuschhaft wimmelndes Instrumentarium im Philharmonischen Orchester, gewinnt aber seine eigentliche suggestive Kraft aus dem Skandieren und Tonsetzen von Opernchor und Philharmonischem Chor auf den Emporen und den dort ebenfalls platzierten Einzelspie­lern etwa mit Fagott, Flöte oder Kontrabass. Besonders lebendig-lichten Reiz macht zudem der Kinder- und Jugendchor hinter dem Orchester aus: Hier wird auf Anweisung ansteckend gekichert und gelacht, werden leicht schwebende Glockentöne angestimmt oder aus dem Schlagwerk aufgegriffen. Das philosophisch erhöhte Gesamt­ergebnis einer natürlich vielstimmigen Schwarmintelligenz erreicht vergleichbar einnehmende Wirkung wie verwandte Raummusiken von Ligeti, Stockhausen oder Boulez, auch wenn, oder gerade weil es nicht so streng organisiert scheint.

GMD Fritzsch spielt seine Stärken als souveräner und suggestiver Klangregisseur zuvor schon in berühmten Hauptwerken des Themen­kreises aus. Die Glückliche Fahrt mit Mendelssohn kräuselt sich sehr schön aus der kaum bewegten, flüsterleisen Meeresstille des Beginns hervor. Das neblig schimmernde Morgengrauen vor dem Fischerhafen oder der aufregend gefährlich aufgepeitschte Sturm lassen sogar in der Konzertvariante der Four Sea Interludes von Benjamin Britten das innere Drama von Peter Grimes spürbar werden.

Auch Impression wird Expression: Flüssig strömt Claude Debussys extrem anspruchsvolles orchestrales Meisterwerk La Mer, für Celebidache die „Bibel der französischen Musik“. Hier gibt es nur wenig trübe Stellen, dafür etliche Wellen des Wohlklangs und plastisch ausgepegelte großorchestrale Wassermassen-Effekte. An der Förde kennt man sich eben mit dem Meer gut aus.

Zuletzt geändert am 16.11.2015